Lesestart in der Bücherei (3): Vom Zeigefinger zu Literacy

Liebe Leser,

heute möchte ich euch mit einer Geschichte unterhalten, in der wir alle schonmal die Hauptrolle gespielt haben: Wie kommt der Mensch zu seiner Sprache? – Jeder von uns hat sich die Sprache erobert, am Anfang seines Lebens. Jeder von uns auf seine spezielle Art, in seinem speziellen Umfeld. Und doch gibt es soetwas wie ein „Sprach-Programm“, das jeder Mensch in sich trägt und das nicht erst mit dem Tag seiner Geburt startet, sondern sogar schon früher!

Wenn ihr Lust dazu habt, schaut euch mal diesen sehenswerten Film (Update Juli 2020: Film steht nicht mehr zur Verfügung, sle) an. Darin erfahrt ihr spannende Sachen: Wusstet ihr zum Beispiel, dass alle Babys in sprachlicher Hinsicht als Weltbürger geboren werden? – Die Fixierung auf die jeweilige Muttersprache erfolgt dann in den ersten Lebensmonaten.

Von seiner Geburt an arbeitet jeder Mensch intensiv daran, an dem teilzuhaben, was wir Sprache nennen. Meistens merkt die Umwelt gar nicht richtig, welche enormen Entwicklungsschritte in den ersten Lebensjahren auf diesem Weg bewältigt werden.

Die Entdeckung des Zeigefingers, verbunden mit dem Wort „Da“  ist so ein „Meilenstein“: Kein Tier ist in der Lage, dem ausgestreckten Zeigefinger mit dem Blick zu folgen und so Dinge wahrzunehmen und zu benennen. Das ist etwas typisch Menschliches und für jedes Baby eine epochale Entdeckung! – Ist der kleine Zeigefinger erstmal im Gebrauch, so ist der Schritt vom Baby zum Kleinkind bald gemacht, verbunden mit einer enormen Weiterentwicklung des Wortschatzes, Sprachwissenschaftler reden hier nicht umsonst von der „Wortschatz-Explosion“.

Das Bedürfnis nach Sprache ist uns also „in die Wiege gelegt“. Und trotzdem entwickelt sich Sprache nicht von alleine. Jeder kleine Mensch braucht Kommunikation, sonst funktioniert unser „eingebautes Sprachlern-Programm“ nicht!

Je vielfältiger und anregender die Kommunikation stattfindet, umso erfolgreicher kann die Sprache in ihrer ganzen Bandbreite von Baby und  Kleinkind erobert werden.

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„Horch mal“ und „Schau mal“ sind wohl die ersten und einfachsten Schritte in die Welt der Gegenstände und Bilder und die Laute, mit denen sie jeweils benannt werden. Wo es sich anbietet, werden Hände und Mund zum „Begreifen“ eingesetzt und die Dimension „Fühl mal“ kommt hinzu. Babys erobern Sprache mit allen Sinnen. Sind sie dann etwas älter, kommt zu dem Input dieser ganzen Erfahrungen auch das Output-Erlebnis: Nun wird selbst Sprache produziert, erstmal wird mit Lauten und Silben experimentiert, dann wird aus „Ba-Ba“ irgendwann „Papa“ oder auch „Ball“, der Aufforderung „Erzählst du mir was?“ kommen die kleinen Sprachkünstler gerne nach.

Diese Kommunikationsbausteine  „Hören, Schauen, Fühlen und Erzählen“ sind für Babys und Kleinkinder so wichtig wie das Atmen. Durch sie werden sie nach und nach zu Sprechexperten und der Weg geht ja noch weiter: Auf dem Fundament des Spracherwerbs soll ja dann später der Schrifterwerb aufgebaut werden. Die Kompetenz des Lesens und Schreibens ist in unserer Gesellschaft eine Basiskompetenz. Nur wer lesen und schreiben kann, ist in der Lage, an allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens teilzunehmen. Es gibt für diese Fähigkeit ein schönes Wort: „Literacy“ – Leider fehlt ihm im Deutschen eine richtige Übersetzung. Wir kennen nur das Gegenteil: ANalphabetismus. „Literacy“ müsste im Deutschen eigentlich „Alphabetismus“ heißen.

Auf dem Weg zu einem Literacy-Künstler braucht ein kleiner Mensch viel geistige Nahrung. Die vielfältigen Erfahrungen mit Sprache vom ersten Tag an sind sozusagen Early-Literacy-Erfahrungen.

Im englischsprachigen Raum steht Literacy inzwischen in vielen Zusammenhängen als Synonym für Basiswissen schlechthin: Es ist die Rede von Financial Literacy, Digital Literacy, Social Literacy, ja in einem Artikel über ein Bewegungsprogramm für Kinder wurde sogar von Physical Literacy gesprochen. Das aber nur nebenbei.

Eigentlich geht es mir ja heute mehr um den Bereich der Early Literacy, also der Grunderfahrungen mit Sprache. Sie sind das Fundament, auf dem später aufgebaut wird. Jetzt wisst ihr, warum uns in der Bücherei schon die allerkleinsten Bücherwürmchen, Lesezwerge und Buchpiraten so am Herzen liegen: Lesekünstler fallen eben nicht vom Himmel… 😉

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