Floor Walking, wissenschaftliche Cocktails und die Zweigstelle im Hochhaus

Der Abschluss meines Auslandspraktikums in der Bibliothek Frederiksberg

Die drei Wochen, die ich mit meinem Auslandspraktikum in Kopenhagen verbrachte, gingen sehr schnell um. In meinem vorherigen Beitrag zu diesem Thema hatte ich einige Erfahrungen der ersten Woche präsentiert – heute möchte ich aus der zweiten und dritten Woche einige Themen anschneiden, die mich interessierten.

Amager Strand
Man kann (und sollte) bei jedem Abschluss Grillen.

Träume, Immersion, Gemeinschaft und Erfahrung

Die Frederiksberger Bibliothek besitzt eine etwas ungewöhnliche Einteilung für die Lektoratsarbeit und die Arbeit mit den Medien. Die vier oben genannten Begriffe bezeichnen jeweils eine Gruppe, die von mehreren Zuständigen und einem Koordinator betreut werden. Die Koordinatoren betreuen zudem die gruppenübergreifende Arbeit. So stehen die „Träume“ für Belletristik, die „Immersion“ für Sachliteratur, die „Gemeinschaft“ für Kinder- und Jugendliteratur und die „Erfahrung“ für AV-Medien.

Im Gespräch mit den Koordinatoren wurde mir erklärt, welche Projekte für diese Gruppen in nächster Zeit anstehen. Es gibt Anregungen, die räumliche Aufteilung der Bibliothek zu ändern. Besonders sollen Bereiche gefunden werden, in denen die Kunden mehr als 5 Minuten lang warten, wenn sie Hilfe benötigen – zum Beispiel, wenn gerade viel los ist und keine Thekenmitarbeiter frei sind. Wo stehen dann die Kunden und warten? Man muss dazu sagen, dass in Dänemark an jedem Ort, wo man Schlange steht, erstmal eine Nummer gezogen wird – einige von euch kennen das eventuell aus dem Bürgeramt in den größeren deutschen Städten. So bildet sich nicht unbedingt immer eine Schlange vor der Theke, sondern die Kunden ziehen eine Nummer und warten dann da, wo es ihnen am besten passt.

 

Auf dem Boden spazieren gehen

Wer den Begriff „Floor Walking“ kennt, erahnt vielleicht schon, worum es geht. „Floor Walking“ heißt eigentlich nur im Raum „herumwandern“ und dabei auf individuelle Fragen und Probleme eingehen. Der Begriff kommt aus der IT und wird eigentlich benutzt, wenn es darum geht, einen IT-Berater zur Lösung individueller Probleme heranzuziehen. In der Bibliothek bedeutet dies, dass die Thekenmitarbeiter nicht nur hinter der Theke zu finden sind, sondern auch die Räumlichkeiten der Bibliothek durchwandern und dabei auf die Kunden und ihre Anfragen stoßen. Die Situation ist vergleichbar wie im Kaufhaus, wenn der nette junge Servicemitarbeiter den Kunden fragt, ob er helfen kann. Für die Bibliothek Frederiksberg könnte das eine Möglichkeit sein, schneller und flächendeckender Kundenanfragen zu bearbeiten. Es gab auch schon Testversuche, bei der die Mitarbeiter mobile Arbeitsplätze mit sich herumtrugen (beispielsweise einen Laptop mit Zugang zum Bibliothekssystem).

Frederiksberg Have
Das Frederiksberger Stadtpark eignet sich räumlich sehr gut für das Floor Walking. Allerdings sind hier sehr wenige Kundenanfragen zu finden…

 

Die Bibliothek beschäftigt sich allerdings nicht nur mit räumlichen Projekten – es ist auch noch viel anderes geplant. Im Anschluss zum Gespräch mit den Koordinatoren hatte ich auch die Möglichkeit, mich mit Kristine zu unterhalten, die in der allgemeinen Projektleitung tätig ist. Sie erzählte mir von sehr vielen Projekten, unter anderem von dem Projekt „Thoughts & Bubbles“. Es richtet sich nach der sehr erfolgreichen Nonprofit-Veranstaltungsreihe „Science & Cocktails“, die im Frühling und im Herbst stattfindet. Dabei hält ein Wissenschaftler einen Vortrag über ein wissenschaftlich interessantes Thema in direkter Ansprache an das Publikum. „Science & Cocktails“, das im Kino der Freistadt Christiana stattfindet, zieht eine beträchtliche Audienz an – zurecht, denn bei dieser Veranstaltung gibt es nicht nur Interessantes aus der Wissenschaftswelt, sondern es werden auch Cocktails serviert, die mit festem Kohlenstoffdioxid (auch bekannt als Trockeneis) gekühlt werden. Beim Projekt „Thoughts & Bubbles“ sollen sozial relevante Themen drankommen, statt Cocktails gibt es dann allerdings Champagner oder sprudelndes Wasser.

 

Et in Domus Vista ego

Domus Vista ist das höchste Wohngebäude in Dänemark und das zweithöchste in ganz Skandinavien. Früher war es frequentiert von jungen und wohlhabenden Berufstätigen, heutzutage wohnen in diesem Gebäude größtenteils Rentner und einige Familien mit Migrationshintergrund. Im Erdgeschoss des Gebäudes gibt es einige kleine Einkaufsläden, ein Kiosk und eine Zweigstelle der Frederiksberg Bibliothek. In der zweiten Woche nahm mich Anna mit, die dort als Bibliothekarin arbeitet. Sie gab mir auch eine Einführung in den Bibliotheksalltag in Domus Vista. Freiwilligenarbeit hat einen hohen Wert für dänische Bibliotheken – wie mir Kollegen in Frederiksberg erzählten, gibt es kleine Bibliotheken in Dänemark, die bereits vollständig von Freiwilligen geführt werden, weil die Kommunen dort einfach nicht genügend Mittel oder Kräfte haben. Die Zweigstelle Domus Vista erfreut sich der regen Teilnahme einer großen Gruppe Freiwilliger, die alles vom Kaffeeverkauf bis hin zu Kunsthandwerksprojekten selber veranstalten.

Hinten rechts Domus Vista. Bild von Kurt Rasmussen.

Im Hinblick auf die Zielgruppen in der Zweigstelle gibt es dort auch viele Medien, die für ältere Generationen sowie für Ausländer oder Flüchtlinge eine Hilfe bieten können. Nebenbei führt Anna eine Veranstaltung durch, bei der sie Menschen, die nicht aus Dänemark kommen und wenig Erfahrung damit haben, das Fahrradfahren beibringt – in Kopenhagen einer der einfachsten und zugleich schönsten Wege, Geld zu sparen.

Ich hatte großes Glück, als ich da war, denn gerade als wir abschließen und gehen wollten, kam eine etwas ältere Dame auf Anna zu und fing mit ihr ein Gespräch an – es stellte sich heraus, dass es eine Kundin der Zweigstelle ist, die im Gebäude Domus Vista wohnt. Auf ihre Einladung hin fuhren wir mit ihr in den 17. Stock und ich durfte von ihrem Balkon einige Bilder vom Ausblick über Kopenhagen schießen.

Kopenhagen
Von dieser Höhe kann man über ganz Kopenhagen bis hin zur Øresundsbrücke nach Malmö sehen.

 

Die Eindrücke und Erfahrungen, die ich in Kopenhagen gesammelt habe, waren für mich sehr prägend. Ich hätte nicht gedacht, dass es so viel zu entdecken gäbe. Mein Fazit dazu: jeder, der die Möglichkeit hat, während der Ausbildung eine Fortbildungsreise oder ein Auslandspraktikum anzutreten, sollte es tun. Ich freue mich allerdings auch darauf, meine alltäglichen Aufgaben in der Stadtbücherei wieder aufzunehmen – in die Heimat zurückzukommen ist immer ein schönes Gefühl!

Von Philip Orr

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